Das Wetter könnte nicht besser sein. Nicht zu heiß, kein Regen und gelegentlich blinzelt die Sonne durch die Wolken. Für den Strand und den Badesee gleich nebenan ist es an diesem Vormittag noch ein wenig zu kühl. Aber das Kirchenzelt auf dem Campingplatz an der Küste im niedersächsischen Otterndorf ist proppenvoll. Pastor Jochen Löber und sein Team laden Kinder und Eltern zu einer abenteuerlichen Fantasietour ein: Im Boot geht es durch Sturm und über furchterregende Wellen.
„Wer hatte schon mal Angst?“, fragt der evangelische Theologe. Etliche Finger schnellen hoch. Von Höhenangst sprechen gleich mehrere Kinder. „Gewitter im Wald“, sagt ein Junge. Und: „Ich hatte schon mal Angst, beim Kanufahren umzukippen.“ Was man dagegen tun könne, möchte Pastor Löber wissen. „Ein Lied singen“, schlägt ein Mädchen vor. Andere würden um Hilfe rufen oder beten. Das Zelt einigt sich auf ein Lied, mit dem die Camper-Seelsorge im nächsten Moment weithin auf dem Platz zu hören ist.
Wie in Otterndorf haben jetzt im Hochsommer auf vielen Campingplätzen und in Urlaubsorten Teams unter der Überschrift „Kirche unterwegs“ ihre Zelte aufgeschlagen: von der Ostsee bis nach Venedig, von der Nordseeküste über die Lüneburger Heide bis zum Chiemsee in den bayerischen Voralpen. „Unser Motto ist: Bei den Menschen sein“, so beschreibt es Jochen Löber, der in diesem Moment gerade von Kindern umwuselt wird. Aus Korken, Moosgummi, Zahnstochern und Gummibändern basteln sie kleine Boote.
Es gibt aber nicht nur Bastelaktionen. Wichtig sind auch die Gespräche, die quasi zwischen Tür und Angel laufen: neben dem Waschhaus, beim Abwasch oder am Strand. Daraus wird nicht selten eine Kurzseelsorge, die bei Bedarf vertieft werden kann. „Wir haben Zeit, das ist wichtig“, sagt die Cuxhavener Urlauberseelsorgerin Maike Selmayr, die dafür gesorgt hat, dass in diesem Jahr wieder ein Kirchenzelt in Otterndorf stehen kann.
Seelsorge mit Meerblick: Gerade im Urlaub kann die freie Zeit schwere Gedanken an die Oberfläche spülen, solche, die offen daliegen und andere, die verdrängt worden sind. „Da geht es um Trennungen, um die Krebserkrankung, um den Jobverlust“, berichtet der Oldenburger Diakon Volker Pickrun. Er organisiert seit vielen Jahren die „Kirche unterwegs“ im ostfriesischen Küstenbadeort Hooksiel und gar nicht weit davon entfernt in Schillig.
Bei den Kindern im Otterndorfer Camp steht aber gerade der Spaß vornean. „Spiele spielen, basteln, die Gute-Nacht-Geschichte am Abend - ich mag das alles“, schwärmt die zehnjährige Klara, die zusammen mit ihrem fünfjährigen Bruder Finn zu den Stammgästen im Kirchenzelt gehört. Und stürmt im nächsten Moment raus, weil Teamerin Natascha Dumova, Ehefrau von Pastor Löber, das große runde Schwungtuch ausgepackt hat.
Allerdings ist es in den zurückliegenden Jahren immer schwieriger geworden, Ehrenamtliche für die Arbeit von „Kirche unterwegs“ zu finden. Manches Camp kam darum in diesem Jahr gar nicht erst zustande. Maike Selmayr ist froh, dass in Otterndorf die Freiwillige Feuerwehr das Zelt aufgebaut hat und Löber aus Kassel an die Küste gekommen ist. Aus seiner kirchlichen Flüchtlingsarbeit hat er gleich ein knapp 20-köpfiges Team mitgebracht - Frauen und Männer aus der Ukraine: „Wenn wir Unterstützung brauchen, schreiben wir eine WhatsApp an die Ukrainer, dann melden sich immer Leute.“
„Die Nachfrage ist da“, sagt Maike Selmayr mit Blick auf die Campingplatz-Seelsorge. „Besonders wenn das Wetter mal nicht so gut ist, finden die Kinder hier immer ein gutes Angebot, dann ist Hochbetrieb im Zelt. Die Eltern wissen, dass ihre Kinder Spaß haben und gut betreut werden und haben ein paar Stunden für sich.“
Besonders beliebt und ein echter Klassiker sind die Gute-Nacht-Geschichten zum Tagesabschluss im Kirchenzelt. Dann heißt es: Ohne Trubel zur Ruhe kommen. Aber auch das Stockbrot am Lagerfeuer, Grillabende und Camper-Gottesdienste begeistern die Gäste.
„Da öffnen sich Tore und Herzen“, bringt es Diakon Volker Pickrun auf den Punkt. Und was denken die Kinder selber? Das ist unüberhörbar, als Jochen Löber den Zeltvormittag rund um Wasser, Boote, Ängste und Vertrauen beschließt und sagt, er hoffe, alle hätten ihren Spaß gehabt. Ein langgezogenes „Jaaaa“ schallt ihm entgegen. Und der Pastor verspricht: „Morgen geht es weiter.“
Dieter Sell, Evangelische Pressedienst (epd)